Legende von Ulifs Stein

Aus Airikas Traum
Wechseln zu: Navigation, Suche

Spielhintergrund: Dieser Artikel befasst sich mit dem fiktiven Land Siedland, das zum Rollenspiel-Hintergrund der LARP-Con-Reihe Airikas Traum gehört.

Die siedländische Legende von Ulifs Stein erzählt von Ulif, der in den Zeiten der Not einen magischen Stein bekam, der ihm seine Wünsche erfüllen konnte. Doch der Stein veränderte ihn und brachte das Schlechteste in ihm hervor, bis er schließlich alles verlor.

Die Legende von Ulifs Stein

(Siedländische Sage, OT geschrieben von Birgit Oppermann)


Lange vor Wiegald, in der Zeit der Düsternis und der Willkür, fand Ulif, der Netzflicker, einen Mann am Strande liegen. Von weit her musste er kommen, denn seine Kleidung war fremd und seltsam. Der Mann hatte die Augen geschlossen und atmete kaum. An seinem Bein schwärte eine Wunde und er lag in glühendem Fieber. Ulif wusste, dass der Fremde sterben würde, denn das Meer gibt nur selten her, was es sich einmal genommen hat. Trotzdem nahm er ihn mit in seine Hütte und bettete ihn auf sein Lager. Er fütterte den Fremden mit Rahm und Honig, sang für ihn und betete zu allen Göttern des Meeres und der Heilung, sie sollten ihn den Fängen des Todes entwinden.

Nach langen Tagen öffnete der Fremde die Augen und blickte Ulif an. Er beantwortete keine von Ulifs Fragen, sodass der Netzflicker schon glaubte, er könne nicht sprechen. Doch dann öffnete er den Mund und fragte: „Weißt du, was Magie ist?“ Natürlich hatte Ulif wie jeder andere Siedländer von Magie gehört, und deshalb bejahte er die Frage. Der Fremde nickte. Dann löste er ein Band um seinen Hals und gab Ulif einen kleinen Stein. Ulif hatte den Stein längst auf der Brust des Fremden liegen sehen. Er sah aus wie ein einfacher Kiesel. Doch jetzt, in seiner Hand, sah er ihn in vielen Farben leuchten und spürte ihn pulsieren, als schlage ein steinernes Herz in seinem Inneren. „Du hast viel getan“, sagte der Fremde, „um mir meine letzten Wünsche nach Würde und Freundschaft zu erfüllen. Dieser Stein wird dir deine Wünsche erfüllen, welche es auch sein mögen. Doch bleibe maßvoll, denn die Magie ist tückisch.“ Ulif hatte viele Fragen, doch der Fremde beantwortete keine von ihnen. Er schloss seine Augen und öffnete sie erst wieder, um seine Götter zu schauen.

Ulif baute dem Fremden ein Floss und gab ihn mit Feuer und Rauch dem Meer zurück, das tosend nach ihm verlangte. Lange stand er am Strand, hielt den Stein in der Hand und fühlte seinem leisen Pulsieren nach. Dann traf er eine Entscheidung. Er nähte den Stein in ein Tuch und vergrub ihn zwischen den Wurzeln einer gebeugten Kiefer. Nie wollte er den Stein benutzen, nie sich den Gefahren des Unbekannten aussetzen.

Doch wenige Jahre später kam der schlimmste Hungerwinter, den Siedland seit den Tagen der ersten Siedler erlebt hatte. Die Herbststürme vernichteten die Ernten und zwangen die Fischer, an Land zu bleiben. Als sie endlich wieder zum Fischen ausfahren konnten, zogen sie nur selten einen lohnenden Fang in ihre Boote. Niemand hatte Geld, um Ulif für seine Dienste den kärglichen Lohn zu zahlen. In einer Vollmondnacht, in der er vom Hunger getrieben am Strand umherwanderte, dachte Ulif wieder an den Stein, der Wunder vollbringen sollte. Weit nach Mitternacht grub er ihn aus, staunte erneut über sein Leuchten und wünschte sich flüsternd einen fetten Fisch auf den Teller. Als er heimkam, lag er dort: ein kräftiger schöner Dorsch, noch feucht vom Meer, als sei er direkt von dort auf Ulifs Tisch gesprungen. Eine ganze Woche aß Ulif von diesem Fisch, dann ging er wieder nach draußen zur Kiefer, um einen neuen herbeizuflüstern. Von diesem schnitt er Stücke ab, schlug sie in Tuch und legte sie verstohlen auf den Schwellen seiner Nachbarn ab. Ulif und viele seiner Nachbarn überlebten den Hungerwinter, während Hunderte starben.

Doch als der Frühling kam und der Hunger vorbei war, hatte Ulif sich an seinen Stein gewöhnt. Längst grub er ihn nach der Verwendung nicht mehr ein, sondern bewahrte ihn unter seinem Kopfkissen auf, wo er ihn jeden Morgen hervorzog und zärtlich in die Hand schloss. Er, der sein ganzes Leben lang bescheiden und einfach gelebt hatte, spürte Begehrlichkeiten in sich wachsen, und erfüllte sich eine nach der anderen. Er wünschte sich ein neues Gewand herbei, ein neues Dach für seine Hütte und die eine oder andere Münze, die er stolz zum Markt trug. Dort traf er ein Bauernmädchen, das ihm wohl gefiel, das seine Werbung aber kaum beachtete. Drei Wochen lang versuchte er, ihre Liebe zu gewinnen. Als sie ihn noch immer nicht erhörte, raunte er seinem Stein einen erneuten Wunsch zu. Noch im selben Sommer heirateten sie.

Ulif staunte kaum mehr über die Kräfte seines Steins. Auch die Warnung des Fremden hatte er längst vergessen. Er wünschte sich mehr und mehr und glaubte, wer, wenn nicht er, sollte alles Gute verdienen? Schließlich zog er mit seiner Frau nach Siedlandshafen in ein großes steinernes Haus und speiste von Tellern aus Porzellan, doch noch immer hatte er nicht genug. Gold war es, nach dem es ihn hungerte, und er häufte es in einem geheimen Keller zu großen Bergen an.

Doch wer zu viel hat, wird nicht glücklich, sagt man. Ulif, der immer mit allen in Frieden gelebt hatte, lernte Neid und Misstrauen kennen. Und eines Nachts standen wilde Männer mit gebogenen Schwertern in seiner Tür, die sein Gold und sein Weib forderten. Ulifs Herz war so kalt und hart geworden wie der Stein, den er schon so lange bei sich trug. So gab er ihnen sein Weib, eilte in den Keller, raffte so viel Gold an sich, wie er konnte, und lief mit den Armen voller Schätze aus der Stadt hinaus. Als die Räuber genug von Ulifs Weib hatten, suchten sie sein Gold. Aber sie konnten den Zugang zu seinem Keller nicht finden und hetzten ihm fluchend und schreiend nach. Es dauerte nicht lange, bis sie ihn gefunden und eingeholt hatten, denn Ulif war durch das viele gute Essen dick und behäbig geworden und trug schwer an dem Gold, von dem er sich nicht trennen wollte. „Stein!“, schrie Ulif, „tu irgendetwas, um mich zu retten!“ Und der Stein verwandelte ihn in eine Möwe und das Gold in seinen Armen in goldene Federn an seinen Schwingen. Hoch flog er davon, seinen wertvollen Stein im Schnabel, über den Strand, über die Felsen und die glitzernden Wogen hinweg. Sein Herz jubelte, und er fühlte sich, als sei er unbesiegbar.

Doch der Möwen Natur ist es zu schreien und die Natur der magischen Dinge ist es, ihre Träger zu enttäuschen. Deshalb öffnete Ulif den Schnabel und schrie seinen Triumph in die Lüfte hinaus. Und deshalb fiel der Stein hinab in die grauen Fluten vor Siedlands Küste.

Mancher hat sie seitdem gesehen, die Möwe mit den goldenen Flügeln. Und wer sie sieht, der glaubt, ihr Kreischen zu verstehen: Sie fleht, man möge ihr den Stein wiederbringen, auf dass sie sich zurückverwandeln, Buße tun und in Ruhe sterben kann. Wer ihr den Stein bringe, solle alles Gold erhalten, das Ulif zeit seines Lebens angehäuft hat. Doch bisher konnte niemand den Stein finden, denn das Meer gibt nur selten her, was es sich einmal genommen hat.

Bauersleute erzählten mir, Dietram von Grundeln, diese Geschichte im vierten Jahr von Arnfrieds Herrschaft auf Siedland.